Im deutschsprachigen Raum noch recht unterrepräsentiert, ist der Begriff Growth Hacking im englischsprachigen Raum seit etwa 2010 bekannt, als Sean Ellis, der als Erfinder dieses Begriffs gilt, ihn so definierte:

„A growth hacker is a person whose true north is growth.  Everything they do is scrutinized by its potential impact on scalable growth” (“Ein Growth Hacker ist eine Person, die auf Wachstum eingenordet ist. Diese Person unternimmt alles unter dem Gesichtspunkt, ob es geeignet ist, skalierbares Wachstum zu unterstützen“ http://www.startup-marketing.com/where-are-all-the-growth-hackers/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Growth_Hacking). Andere Definitionen lesen sich etwas anders: „Growth Hacking ist das Gewinnen einer maximalen Anzahl von Produktnutzern auf möglichst automatisierter und Nutzerdaten-basierender Basis“ (http://www.starting-up.de/marketing/online-marketing/growth-hacking.html und http://www.ecommerce-lounge.de/growth-hacks-online-shops/). Wie bei vielen Definitionen klingt es meistens komplizierter als es ist. Im Endeffekt geht es NUR ums Wachstum, andere Faktoren wie Senkung der Kosten, Verbesserung der Leistungen, Erweiterung des Kerngeschäftes, Werbung, Professionalisierung von Marketing und Vertrieb etc werden nicht verfolgt.

Entwickelt wurde diese Strategie eher zufällig von klammen Start-Up-Unternehmen ohne einen herkömmlichen Marketinghintergrund, die aber dafür umso neugieriger, innovativer und cleverer die Möglichkeiten des Online Marketings nutzten. Kleine Tricks, analytisches Denken, Kreativität, Individualität, Ausdauer und – natürlich – sich das Hineinversetzen in die Köpfe der Kunden – das sind die Charakteristika eines guten Growth Hackers. Eine Stellenbeschreibung des Start-Ups SendGrid hörte sich beispielweise so an (http://t3n.de/news/growth-hacker-529271/):

„Die Person hat eine Passion für Analytics und Daten, ein Verständnis fürs Coding, einen unstillbaren Appetit fürs Tests und Iteration, einen obsessiven Fokus auf Kundenakquise, ein großes Verständnis der Kundenpsyche und keine Angst, Grenzen zu sprengen und kalkulierte Risiken zu nehmen, um das ultimative Ziel zu erreichen: WACHSTUM.“

Im Endeffekt handelt es sich dabei also letztlich um „eine Bezeichnung für modernes, datengetriebenes und gutes Marketing“ (Kevin Indig, ein weiterer Pionier dieses Konzepts, http://t3n.de/news/growth-hacker-529271/).

Konventionelle Wachstumsstrategien

Altbewährte Wachstumsstrategien kennen wir natürlich schon aus dem klassischen Marketing. Über die Wettbewerbsstrategien nach Porter haben wir schon gesprochen, hervorzuheben wären hier also noch die Werke von Penrose (1959) und vor allem Ansoff (1979), der die Potenziale und Risiken von vier möglichen Produkt-Markt-Kombinationen herausgearbeitet und die Forschung in der Hinsicht mitgeprägt hat.

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Quelle: Wikipedia, Marktfeldstrategie

 

Marktdurchdringung:

In einem bestehendem Markt mit bestehenden Produkten zu wachsen ist die – sozusagen – konservativste Methode. Selbstverständlich ist das Wachstumspotenzial hier sehr begrenzt, da man praktisch nur auf Kosten der direkten Konkurrenz wachsen kann.  Allerdings ist auch das Risiko sehr klein, da man kaum neue Investitionen tätigen muss.

Marktentwicklung:

Bei dieser Strategie versucht man mit bewährten Produkten neue Märkte zu erschließen. Natürlich ist hier das Risiko höher als bei der Marktdurchdringungsstrategie, da man sich auf ganz neuen Märkten gegen alteingesessene Mitbewerber durchsetzen muss. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass innovative und gut vermarktete Produkte gerade die alteingesessenen Märkte durcheinanderwirbeln können (s. z.B. die Verdrängung von Nokia durch Apple dank des iPhones).

Produktentwicklung:

Ganz umgekehrt funktioniert diese Strategie: hier entwickeln wir neue Produkte für einen bereits eroberten Markt. Der große Vorteil ist natürlich, dass wir diesen Markt bereits kennen, wir kennen die bisherigen Produkte, die Teilnehmer, den Wettbewerb, die Stärke unseres Unternehmens im Vergleich zu der Konkurrenz und vor allem: unsere Kundschaft. Damit kennen wir auch ihre Wünsche und Bedürfnisse, die wir mit neuen Produkten zu decken versuchen.

Diversifikation:

Die sicherlich schwierigste Strategie, da hierbei nicht nur ein neues Produkt etabliert, sondern gleichzeitig auch ein neuer Markt erobert werden muss. Die hohe Spezialisierung der Unternehmen heutzutage, das damit verbundene hohe Know-how und die zumeist sehr befriedigten Märkte machen die Anwendung dieser Strategie natürlich nicht gerade einfach.

Bei einem sehr innovativen Produkt aber kann es sich natürlich trotzdem sehr lohnen. (Auch hier ist Apple ein sehr gutes Beispiel, da es mit dem iPod und dem iPhone nicht nur neue Produkte, sondern auch neue Märkte erobert hat).

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Beispiele berühmter Firmen, die mit Growth Hacking Erfolg hatten

  1. Hotmail: Das erste und wohl bekannteste Beispiel für gutes Growth Hacking lieferte Hotmail bereits im Jahre 1998, das einfach in den Footer einer jeden versendeten E-Mail ihrer Hotmail-Nutzer den Satz hinzufügte: “PS I Love You: Get your free Hotmail Account” und es mit einem Hyperlink auf die Hotmail-Registrierungsseite verband.Zu der Zeit waren E-Mail-Adressen nicht immer kostenfrei, die Nutzer brauchten evtl. eine zweite Adresse oder wollten einfach aus anderen Gründen wechseln. Ein richtig guter Growth Hack also, der dem Unternehmen in kurzer Zeit 12 Millionen Kunden- und nach der Übernahme durch Microsoft – 400 Millionen einbrachte.
  2. Facebook: Das Soziale Netzwerk beschäftigt bis heute eine ganze „Armee“ von Growth Hackern und versucht immer wieder neue Möglichkeiten des Wachstums zu generieren. Eine recht erfolgreiche Strategie war z.B., als das Unternehmen noch nicht angemeldete Personen per E-Mail darüber informierte, wenn diese auf Bildern „getagged“ wurden. Sie erhielten dadurch den Eindruck, etwas zu verpassen. Ein guter psychologischer Trick zur Neukundengewinnung (http://t3n.de/news/growth-hacker-529271/).
  3. PayPal: Als Start-Up-Unternehmen zahlte PayPal neuen Kunden und denen, die angeworben wurden 10 Dollar. Sicherlich trug auch diese Strategie dazu bei, dass PayPal in kurzer Zeit auf mehrere Millionen User anwuchs.
  4. Twitter: Das Unternehmen fand heraus, dass seine User ab etwa 30 Personen, denen sie folgten, so richtig „Blut geleckt haben“ und ab da immer aktiver wurden. Also ermutigte Twitter seine User, mehr Personen zu folgen, indem ihnen laufend interessante Profile oder viel diskutierte Themen vorgeschlagen wurden. Eine Strategie, die das Unternehmen bis heute verfolgt.
  5. Instagram: Dieses Soziale Netzwerk bot seinen Usern von Anfang an die Möglichkeit, die auf Instagram geposteten Fotos auch gleich automatisch auf Facebook und Twitter zu teilen. Durch die hohe Reichweite dieser zwei etablierten Social Media Plattformen wuchs Instagram sehr schnell und wurde im Jahre 2012 von Facebook für 737 Millionen US-Dollar übernommen.
  6. Dropbox: Dropbox akquirierte neue Benutzer über ein zweiseitiges Bonusprogramm. Wenn ein Nutzer jemanden zu Dropbox einlud und dieser die Einladung annahm, erhielten beide Parteien zusätzliche 500 Megabyte Speicherplatz. Diese Strategie ließ innerhalb von 15 Monaten die Useranzahl von 100.000 auf 4 Millionen wachsen.
  7. Airbnb: Auch dieses Unternehmen muss man für seine kreativen Marketingmaßnahmen loben. Zu Beginn des Startups schaffte es das Unternehmen sein Angebot über eine Schnittstelle auf den größten amerikanischen Kleinanzeigenmarkt Craigslist einzubringen. So nutzte Airbnb die Popularität einer der größten Websites der USA und verbreitete seine Leistungen dort kostenlos. Auch die Vermietung von privaten Wohnungen als Ferienwohnungen – eine weitere außergewöhnliche Strategie – wird mittlerweile von vielen Menschen gerne angenommen.
  8. Pinterest: Bis heute verfolgt das Unternehmen die Strategie, dass ein neu angemeldeter Nutzer automatisch ausgewählten Top-Usern folgt. Mit diesem einfachen Trick werden die neuen User „an die Hand genommen“, können die ersten Schritte auf der Plattform machen und immer aktiver werden. Im September 2015 überschritt Pinterest die Zahl von 100 Millionen monatlich aktiven Nutzern.

Hier eine kleine Übersicht für die Strategie von Intsagram, die als “Sources and Sinks”-Roadmap beschrieben wird:

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Quelle: http://www.adweek.com/socialtimes/files/2013/09/readwrite-sources-and-sinks-infographic1.jpg

 

Mögliche Strategieempfehlungen für Ihren Online-Shop:

  • Der Aha-Moment: Denken Sie an Twitter. Gibt es vielleicht auch bei Ihren Produkten einen Schwellenmoment, den Ihre Nutzer erreichen müssen, um das Produkt richtig zu verstehen, genießen und mit Spaß nutzen können? Wenn es diesen Punkt gibt, dann sorgen Sie dafür, dass Ihre Nutzer ihn möglichst schnell erreichen. Oft kann hierbei ein Tutorial oder eine Demo behilflich sein.
  • Automatisierung: Denken Sie an Airbnb und versuchen sich in große, meist öffentliche Listen einzutragen. Oft bieten Bund, Länder, Städte und Gemeinden solche Listen kostenlos an, in die man sich dann eintragen kann. Auch gut gesetzte Einträge in der Wikipedia können eine große Reichweite entwickeln.
  • Social-Proof: Wir kennen diese Botschaften alle: „Kunden, die dies gekauft haben, haben auch Folgendes gekauft“, „Kundenbewertungen“, „schon über 100.000 Mal gedownloadet!“, „in den letzten 24 Stunden von 15 Kunden gebucht“, „nur noch 10 Stück“ etc. Lassen Sie sich von anderen inspirieren oder denken sich auch neue Botschaften aus, aber verzichten Sie nicht auf diese Floskeln. Sie können mehr ausmachen, als man denkt. Übertreiben Sie es aber nicht und testen mit A/B-Tests, welche Botschaften am besten ankommen.
  • A/B-Tests: Natürlich nichts Neues, doch mittlerweile kaum wegzudenken im Online Marketing. Vor allem die Landing- und Payment Pages sollten Sie immer wieder kontrollieren und versuchen weiter zu optimieren. Oft kann man hier mit kleinen Kniffen große Wirkung erzielen (versuchen Sie es z.B mit unterschiedlichen Bildern!). Machen Sie aber die Tests nicht zu kompliziert – ja möglichst einfach, niemals zwei oder mehrere Tests gleichzeitig und werten diese auch richtig aus. Versuchen Sie sich immer in die Köpfe der Kunden hineinzuversetzen: was könnte die Besucher vom Kauf abhalten? Schlechte oder fehlende Produktinformationen oder Produkbilder? Zu hohe Preise? Fehlende Gutscheine? Nicht-transparente Lieferkosten oder Lieferbedingungen? Fehlende Produktbewertungen? Zu viele Datenabfragen beim Checkout oder fehlende Zahlungsmethoden?
  • Onboarding Mails: Auch das werden Sie wahrscheinlich kennen: viele Nutzer melden sich an, nutzen dann das Produkt aber gar nicht und kosten uns nur Geld in den Mailinglisten. Vor allem werden so Free-User nicht zum zahlenden Kunden. Wie also die Kunden dazu bringen, auf seine Produkte aufmerksam zu machen, ohne den Kunden zu brüskieren? Ist zweifelsohne ein zweischneidiges Schwert, denn sprechen wir den Kunden zu aggressiv an, wird er sich womöglich von uns abwenden. Spricht man ihn kaum an, wird er niemals zum zahlenden Kunden. Wählen Sie also den richtigen Ton, lassen etwas Zeit verstreichen, machen den Kunden fast nur nebenbei auf besondere Angebote aufmerksam, die auch am besten extra für solche Kunden kreiert wurden etc.
  • Suchergebnisse: Google bietet den Werbetreibenden immer mehr Möglichkeiten seine Produkte optimal zu repräsentieren. Selbst wenn Sie schon gute Rankings haben, nutzen Sie auch all diese Möglichkeiten? Verwenden Sie CTAs? Authorship? Rich Snippets?
  • Blog: Nutzen Sie Google Trends und Social Media, um die heißesten Themen in Ihrer Branche herauszufinden! Kreieren Sie Content, der zum Teilen anregt. Listen, nützliche Ratschläge und Bilder können so Besucher auf Ihre Seite ziehen.
  • Gastbeiträge: Diskutieren Sie auch in anderen Blogs, um auf sich aufmerksam zu machen. Achten Sie aber hierbei immer auf Ihren Ton und eine nicht zu aggressive Vorgehensweise. Diskutieren Sie sachlich und versuchen ganz nebenbei auf den „natürlich überaus einzigartigen“ Content auf Ihrer Seite zu verweisen.
  • Content Distribution: Es gibt noch mehr Wege, wie Sie Ihren Content verbreiten können, wie z.B. Buffer, Reddit, Quora, andere Foren und Blogs u.ä.
  • Social Sharing: Natürlich sollten Sie auf diese einfachen Möglichkeiten des Teilens nicht verzichten. Integrieren Sie Social Sharing wo immer es möglich ist. Finden Sie auch heraus, wie Sie z.B. den Sharing-Text für sich nutzen können!
  • Partner Marketing: Oft ergeben sich Möglichkeiten mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten zu können, vor allem auf der vertikalen Ebene. Angefangen mit einem einfachen Linktausch, über Werbung schalten auf für Sie relevanten Seiten bis hin zu gemeinsamen Marketingmaßnahmen – die Grenze ist nur der Himmel…
  • Member gets Member: Ihre bereits bestehenden Kunden dafür zu belohnen, wenn sie für Sie neue Kunden gewinnen/werben, kann sich sicherlich auch lohnen. Achten Sie aber darauf, dass Sie es nicht in Geschäftsfeldern einsetzen, in denen es missbraucht werden kann, und darauf, den Kunden etwas anzubieten, das sich für diese lohnt. Es müssen auch nicht immer Gutscheine und/oder Prozente sein!
  • Pressearbeit: Es gibt viele Möglichkeiten mit der Presse in Kontakt zu treten: freie Medienseiten, Launch, neue Features, Kundenanzahl, Förderung, Expansion… Über die Presse erreichen Sie unzählige potenzielle Kunden!
  • Fakes: Natürlich wollen wir Sie nicht dazu ermutigen zu schummeln, aber es gibt Grauzonen, Wege und Möglichkeiten, die auch für Sie eventuell attraktiv sein können. Reddit hat z.B. als Start-Up hunderte von Fake-Profilen erstellt, um die Seite populärer erscheinen zu lassen. Von den Datingbörsen-Seiten hat man ähnliche Geschichten gehört..

Also, mit diesem etwas längeren Artikel hoffen wir Ihnen anschaulich gezeigt zu haben, wie Growth Hacking funktioniert. Lassen Sie sich von den hier vorgetragenen Ideen inspirieren, versuchen Sie mutig auch eigene Ideen zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen. Meistens kosten diese Ideen ja nicht viel Geld, nur ein wenig Ausdauer und Kreativität. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg!