Bevor man sich über spezielle Strategien und strategische Markenführung Gedanken macht, muss zuvor das Ziel, das man erreichen möchte, möglichst konkret formuliert werden. Für ein Unternehmen das am Markt tätig ist, ist das grobe Ziel klar: es will möglichst erfolgreich sein und Geld verdienen. Man kann auch sagen: „Das Globalziel eines Unternehmens ist seine langfristige Existenzsicherung durch den Erhalt oder die Steigerung des Unternehmenswerts“ (Hahn/Hungenberg, nach Esch 2003, S. 61; meine Hervorhebung). Um diese Aussage zu konkretisieren sollten Zwischenziele formuliert werden.
Das zentrale Element der Markenführung ist natürlich die Marke, deswegen bauen die ökonomischen Ziele auf der Steigerung dieses Markenwerts auf. Durch eine positive Resonanz bei dem Konsumenten kann der Absatz einer Marke erhöht und der preispolitische Spielraum vergrößert werden. Um diese positive Resonanz beim Konsumenten zu erreichen sollte das Unternehmen, analog zu der Markendefinition, die Wünsche des Kunden, seine Vorstellungen, seine Psyche kennen. Im „Optimalfall“ sollte die Marke in ihm sogar Wünsche erwecken, von denen er gar nicht wusste, dass er sie hat. Um die Konsumenten so zu beeinflussen, dass sie die Marke kaufen und bereit sind, für diese einen Preisaufschlag zu zahlen, ist der Einsatz von Sozialtechniken erforderlich. „Sozialtechniken kennzeichnen die Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zur systematischen und zielgerichteten Beeinflussung von Konsumenten“ (Kroeber-Riel/Esch 2000, nach Esch 2003, S. 62). Verhaltenswissenschaftliche Ziele sind also den ökonomischen Zielen und dem Globalziel des Unternehmens vorgelagert (vgl. ebd.) und decken sich mit den Funktionen einer Marke, die im nächsten Kapitel vorgestellt werden.
Die ökonomischen und sozialen Bedingungen sind jedoch einem permanenten Wandel unterzogen, sodass sich die Markenführung im Kontext dieser dynamischen Markt- und Umweltbedingungen mit einer Reihe von wettbewerbspolitischen Herausforderungen konfrontiert sieht.
Durch die zunehmende Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft ist die Wettbewerbsintensität enorm gestiegen. Weltweit gelten 75% aller Märkte als gesättigt, was bedeutet, dass das Marktpotential weitgehend ausgeschöpft ist (vgl. Esch 2003, S. 128; Weinberg/Diehl 2001, S. 24). Ein Zuwachs von Marktanteilen für den einen Anbieter kann nur noch auf Kosten eines anderen Anbieters erreicht werden. Darüber hinaus bewirkt die fortschreitende Globalisierung eine schnelle Verbreitung vom technologischen Know-how und damit tendenziell eine Homogenisierung der Produkte, was durch viele Immitationsartikel (me-too Produkte) zusätzlich verschärft wird (vgl. Meffert et al. 2001, S. 3; vgl. Michael 2001, S. 175). Die Anbieter auf gesättigten Märken versuchen daher, Wettbewerbsvorteile durch eine immer stärkere Marktdifferenzierung im Hinblick auf die Befriedigung von Bedürfnissen bestimmter Kundengruppen und Marktsegmente zu erreichen. Diese Entwicklung lässt sich anhand der gestiegenen Produkt- und Markenvielfalt der letzten Jahre verfolgen. Gab es im Jahr 1988 29.701 Markenanmeldungen, waren es im Jahr 1999 bereits 76.434 (vgl. Meffert et al. 2001, S. 3; Meffert et al. 2002, S. 102). Gab es im Jahr 1950 in einem Verbraucher-Markt maximal 14 Zahncrememarken, sind es um die Jahrtausendwende bereits ca. 96 gewesen (vgl. Esch/Wicke 1999, S. 13; Esch 2001, S. 71).
In Verbindung mit der Etablierung Neuer Medien, vor allem des Internets, stieg auch die Anzahl der beworbenen Marken sprunghaft an. Wurden 1975 nur 25.000 Marken beworben, waren es 1998 schon 56.000 (vgl. Esch 2001, S. 71). Die vielen Botschaften führen zu einer Informationsüberlastung bei den Endkonsumenten. Nach Kroebel-Riel/Esch erreichen nur etwa 5% der angebotenen Werbeinformation ihre Empfänger, „der Rest landet auf dem Müll“ (nach Esch 2001, S. 72).
Der Konsument und seine Umwelt haben sich im Laufe der Zeit ebenso verändert. Alleine die demografische Entwicklung stellt die Unternehmen vor neue Herausforderungen, bietet aber gleichzeitig auch neue Chancen und Möglichkeiten der Profilierung. Bedingt durch rückläufige Geburtenraten und den fortschreitenden medizinischen Fortschritt ist in den meisten Industriegesellschaften ein stetiger Anstieg des Durchschnittalters zu beobachten. So sind heute schon etwa 40% der Menschen in Deutschland älter als 50 Jahre und die Tendenz ist stark steigend (vgl. Meffert et al. 2001, S. 4). Ältere Menschen haben natürlich andere Bedürfnisse als junge. So gewinnen die Bereiche der Gesundheit, der Heilkunde und anderer Dienstleistungen für Senioren zunehmend an Bedeutung. Ebenso achten ältere Menschen häufiger auf Qualität und bringen diese mit starken Marken in Verbindung. Zudem besteht in diesem Segment eine höhere Markenbindung, was die Etablierung neuer Marken erschwert (vgl. ebd.).
Weitere Entwicklungstendenzen lassen sich in der sinkenden Haushaltsgröße, in der Erwerbstätigen- und der Einkommensstruktur erkennen. Waren früher Partnerschaften ohne Kinder eher die Ausnahme, so gewinnt diese Form des Zusammenlebens immer stärker an Bedeutung. Ebenso wie allein erziehende Elternteile und der Trend zu Single-Haushalten. Des Weiteren hat sich neben einer Umschichtung der Erwerbsbevölkerung auch die Struktur der Erwerbstätigen gewandelt. Insbesondere ist schon seit Jahrzehnten ein stetiger Anstieg der Frauenerwerbsquote zu beobachten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Polarisierung der Einkommen in unserer Gesellschaft, die uns eine Gruppe von Konsumenten mit extrem hohen Einkommen beschert, während es auf der anderen Seite eine steigende Zahl einkommensschwacher Haushalte gibt (vgl. ebd.).
Diese Faktoren haben einen enormen Einfluss auf die Verbrauchertrends. Durch die Öffnung der Einkommensschere z.B. haben wir auf der einen Seite Konsumenten für die vor allem Marken im Luxussegment eine wichtige Rolle spielen. Auf der anderen Seite natürlich auch Menschen die in erster Linie auf den Preis achten müssen. Durch die zunehmende Anzahl von Ein-Personen-Haushalten steigt die Anzahl der verkauften Fertigprodukte, der Bestell- und Lieferservices, der Tankstellen die „alles“ anbieten etc. Wir Verbraucher sind in der Hinsicht „convenienceorientiert“, streben also nach Annehmlichkeit, Bequemlichkeit und schneller Verfügbarkeit (vgl. Meffert et al. 2002, S. 114).
Neben der Bequemlichkeit streben wir auch nach Erlebnis- und Sinnkonsum; hier spielt die Identifizierung mit der Marke und die Entfaltung der eigenen Individualität eine große Rolle. Marken wie „Harley Davidson“, „Porsche“, „Versace“ oder die „Marlboro Country“ Kampagne versuchen dem Verbraucher ein einmaliges Lebensgefühl zu vermitteln (vgl. Meffert et al. 2001, S. 13). Rein technisch gesehen gibt es sicherlich bessere Motorräder als eine „Harley Davidson“, aber bei „ihr“ denken wir an Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Abenteuer und Spaß. Harley Davidson ist kein Produkt, es ist eine Lebensphilosophie (Meyer 2000, S. 30). Die damit verbundenen Gefühle sind so stark, und unsere Sehnsucht danach sie auch auszuleben anscheinend so groß, dass wir bereit sind qualitative oder preisliche Einbußen in Kauf zu nehmen. Hier zeigt sich auch noch mal deutlich, dass die richtige Positionierung, die richtige Strategie in erster Linie davon abhängig ist, wie „einzigartig“ die Marke in der Psyche des Verbrauchers positioniert ist.
Ohne auf weitere Feinheiten der Konsumentenpsyche eingehen zu können sollte festgehalten werden, dass wir Verbraucher insgesamt sehr viel komplexer handeln und reagieren als es noch etwa vor 50 Jahren der Fall war. Der Verbraucher von gestern war hungrig, interessiert, undifferenziert, heute ist er hauptsächlich lustlos und preislüstern, vor allem ist er aber satt, clever, gelangweilt und individualisiert (vgl. Esch 2003, S. 35f.). Aus den „Needs“ sind „Wants“ geworden. In unserer Überflussgesellschaft werden nicht mehr die Angebote knapp, sondern die Wünsche (vgl. Michael 2001, S. 176.). Bedingt durch den Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt und unterstützt durch einen Anstieg des Wohlstandes und eine Pluralisierung gesellschaftlicher und individueller Werte entwickelte sich im Laufe der Zeit bei den Konsumenten der Anspruch, Produkte und Dienstleistungen entsprechend den individuellen Präferenzen zu beziehen. Diese Individualisierung des Konsums macht uns als Verbraucher unberechenbar, eindimensionale Handlungsprinzipien, wie die Orientierung an Qualität oder Preis, verlieren an Erklärungskraft. Sprach man früher von einem „konsistenten“, später „hybriden“ Konsumenten, so gelten wir heute als „multioptionale“ oder gar „paradoxe“ Konsumenten, die nicht mehr einheitlich, sondern divergierend einkaufen und deren Handlungsprinzipien nicht mehr ein- sondern mehrdimensional sind (vgl. Meffert et al. 2002, S. 120f.; Esch 2003, S. 35ff.; eine sehr gute Übersicht über die verschiedenen Konsumententypen findet sich in Liebmann/Zentes 2001, S. 133ff.).
All diese Faktoren spielen natürlich eine eminent wichtige Rolle bei der strategischen Ausrichtung einer Marke. Von besonderer Bedeutung ist es nicht nur sein Umfeld zu kennen (die Branche im Allgemeinen, die Konkurrenz im Speziellen, etc.), sondern vor allem die Kunden zu verstehen, ihre Bedürfnisse zu erahnen, ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Probleme zu lösen, was in unserer schnelllebigen Welt immer schwieriger wird.
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