Beim Auftauchen eines neuen Akteurs am Markt oder bei der Neupositionierung eines Unternehmens, bieten sich dem Akteur nach Porter (1988, S. 62ff.) drei allgemeine Strategietypen an, mit deren Hilfe das Unternehmen eine erfolgreiche Marktposition einnehmen kann (vgl. Wettbewerbsstrategien nach Porter). Die Strategie der Kostenführerschaft basiert auf den Annahmen, dass es dem Einzelhändler nicht nur gelingt, ein konsequentes Kostenmanagement mit niedrigen Preisen durchzusetzen, dieser Preisvorteil muss darüber hinaus von dem Konsumenten wahrgenommen und positiv beurteilt werden (vgl. Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 999).

Die Differenzierungsstrategie im Einzelhandel beinhaltet als Ziel die „Gestaltung eines unverwechselbaren, einzigartigen Images, das klar und dauerhaft im Bewusstsein der Konsumenten verankert ist“ (ebd.). Immer mehr spielt bei diesem Differenzierungskonzept das Erlebnismarketing eine zunehmend wichtige Rolle. Dabei geht es um weitaus mehr als die reine Befriedigung der Versorgungsbedürfnisse. Der Kunde muss sich wohl fühlen, das Einkaufen soll für ihn ein Erlebnis sein, das einen zusätzlichen Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität spendet. Das Umsetzen dieser Strategie verlangt die Anwendung einer langfristigen Positionierungsstrategie, die möglichst alle Marketinginstrumente mit einbezieht und für den Kunden vor allem durch die Ladengestaltung sowie das Verhalten der Mitarbeiter „erlebbar“ wird, Corporate Identity prägend ist und sich an langfristigen Wertetrends der Konsumenten orientiert (vgl. ebd.).

Die These, dass die Unternehmen, die eine dieser beiden Strategien bewusst verfolgen erfolgreicher sind, als die Unternehmen, die es nicht tun, und somit laut Porter „zwischen den Stühlen sitzen“, lässt sich für den Einzelhandel bestätigen (vgl. Gröppel-Klein 1998, nach Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 999). Allerdings verlangt die hohe Wettbewerbsintensität von den Unternehmen zunehmend das Verfolgen beider Strategien fast gleichzeitig. In der Praxis sieht es dann z.B. so aus, dass wenn der niedrige Kostenapparat des Unternehmens zusätzliche Investitionen in die Gestaltung des Ladens oder im Service gestattet, ohne dass hierfür die Preise erhöht werden müssen, kann eine Outpacing-Strategie erfolgreich gelingen.

Und das ist genau der Punkt, an dem Nieschlags These ansetzt. Allein die Tatsache, dass sich zwei der wichtigsten und viele weitere Marketingtheorien mit demselben Punkt beschäftigen ist kein Zufall, sondern eine Schlussfolgerung der beobachteten Realität. Und das macht diese beiden Theorien in der Praxis so wertvoll. Sie versuchen Antworten für praxisrelevante Probleme zu finden. Eine Synthese der beiden Theorien sowie eine Weiterentwicklung in Form einer konkreten und möglichst praxisnahen Ausformulierung des dann neu geschaffenen „Tatsachenberichts“ könnte der nächste logische Schritt sein, um zu einer Allgemeintheorie zu gelangen, die die Dynamik der Betriebsformen, ihre Gesetzmäßigkeiten, besten Strategiemöglichkeiten etc. erklären könnte. Selbst wenn man weiß, dass hier auch nur der Weg das Ziel ist.

Im Folgenden sollen die Möglichkeiten der Handelsunternehmen unter der Berücksichtigung der beiden Theorien von Porter und Nieschlag untersucht werden. Da es sich dabei überwiegend um Praxisbeispiele aus der Realität handelt, sollte es vielleicht eher als eine Ansammlung von Tatsachen angesehen werden, die aber wissenschaftlich definiert durchaus das Fundament der neuen Theorie darstellen könnten. Darüber hinaus werden diese Konzepte meist nur von Unternehmen ab einer bestimmten Größe verfolgt werden können.

Die Ausgangsfrage sollte vielleicht lauten: wann taucht eine neue Betriebsform oder „unternehmerische Konzeption“ (Nieschlag 1974, nach Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1001) am Markt auf? Nun, einfach ausgedrückt: wenn es das Bedürfnis danach gibt. Genauer formuliert:

„Mit den neuen ‚Pionierunternehmen’ passt sich der Handel den Wandlungen von Wirtschaft und Gesellschaft an. Die neuen Betriebsformen versuchen, eine Marketingkonzeption zu entwickeln, mit der sie den Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten auf eine innovative Art gerecht werden.“ (Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1001).

Diese „innovative Art“ kann viele verschiedene Formen annehmen und betrifft die besondere Gestaltung höchst unterschiedlicher Marketinginstrumente (vgl. Nieschlag 1974, nach Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1001). Tatsächlich ist es aber so, dass die meisten neuen Betriebsformen sich in erster Linie der Verfolgung einer aggressiven Preispolitik verschreiben, da sie darin „einen entscheidenden Ansatzpunkt für die Erschließung des Marktes sehen“ (ebd.). Dabei bedienen sie sich genau dieser Maßnahmen, die Porter und Nieschlag in ihren Thesen formuliert haben, wie Beschränkung des Sortiments auf umschlagsschnelle Waren, vorteilhafte Einkaufsbedingungen etc (s. Kap 2.1 und Kap. 4).

Die vertikale Integration muss hier allerdings besonders hervorgehoben werden. Möglichst einfach formuliert ist es doch so, dass der Einzelhändler am Ende des Absatzweges steht. Vor ihm steht womöglich noch der Großhändler, bei dem der Einzelhändler seine Waren einkauft. Der Großhändler kauft seine Waren bei den Herstellern ein, diese müssen wiederum alle benötigten Rohstoffe, die sie für die Fertigung ihrer Produkte brauchen, selbst auf verschiedenen Märkten einkaufen usw. Der Einzelhändler hat also viele ihm vorgelagerte Wirtschaftsstufen und die dort tätigen Unternehmen wollen alle ihr eigenes Geld verdienen. Ganz nüchtern betrachtet kann das Einzelhandelsunternehmen durch die Umgehung der ihm vorgelagerten Wirtschaftsstufen die Gewinne dieser Unternehmen für sich einstreichen. Das ist auch gleichzeitig der Sinn der vertikalen Integration und die wichtigste Funktion der Handelsmarken.

Eine tief greifende vertikale Integration schmälert nicht nur die Kosten, sondern verschafft dem Unternehmen auch mehr Möglichkeiten der Differenzierung, da sie die Kontrolle über die Gestaltung der Eigenmarken haben. Damit lässt sich eine Outpacing-Strategie im Sinne von Porter einfacher realisieren. Die eigen produzierten Handelsmarken sorgen dabei nicht nur für hohe Gewinnspannen, sondern helfen auch bei der Profilierung des Unternehmens gegenüber seinen Konkurrenten. Gerade bei dem Vorhaben, das ganze Unternehmen als Marke oder Store Brand etablieren zu wollen, macht die Verfolgung der Outpacing-Strategie Sinn. Dabei versuchen die Handelsunternehmen ihre Kompetenz nicht durch den Verkauf einzelner Produkte oder Sortimente in Form von Eigenmarken unter Beweis zu stellen, sondern möchten, dass die Konsumenten alle angebotenen Produkte dem Eigner zuordnen (vgl. Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1003). Es versteht sich von selbst, dass gerade in diesen Fällen die Qualität der angebotenen Eigenmarken möglichst hoch seine sollte, denn jeder enttäuschte Kunde projiziert die schlechte Qualität des Produktes auf das ganze Unternehmen.

Des Weiteren muss noch bemerkt werden, dass das Verfolgen der Outpacing-Strategie ein spezifisches Risiko beinhaltet. Wenn das Unternehmen sich z.B. als Kostenführer etabliert hat, wird es die Kunden wohl ein wenig verwirren, wenn die Läden auf einmal mit Marmorböden ausgestattet werden. Das klare Profil, die richtige Positionierung des Unternehmens, gerade in den Köpfen der Verbraucher, ist das vielleicht wichtigste Kapital des Unternehmens und darf nicht verloren oder gestört werden (vgl. ebd., S. 1000).

Was passiert aber, wenn sich das Pionierunternehmen mit Hilfe einer aggressiven Niedrigpreispolitik am Markt etabliert hat? Es steht wohl wirklich außer Frage, dass je erfolgreicher das Konzept des Pioniers gewesen ist, desto schneller und desto mehr Nachahmer wird es dann auch finden. In dieser Hinsicht kann eine tief greifende vertikale Integration des Pioniers seine Position stärken und schützen, denn durch die vertikale Integration erreicht er klare Kostenvorteile gegenüber seinen Konkurrenten.

Im Allgemeinen kann aber angenommen werden, dass es nicht allzu lange dauert bis zahlreiche Imitatoren die Wettbewerbssituation entscheidend verändert haben. In der Folge wird es eine zunehmende Homogenisierung der angebotenen Betriebsformen geben. Um dem zu entrinnen versuchen die Anbieter ihr Konzept zu verfeinern und optimaler zu gestalten, um sich sowohl gegenüber der Konkurrenz zu differenzieren, als auch neue Kunden zu gewinnen, die nicht nur auf den Preis achten. Diese Betriebsformprofilierung setzt ein, indem die Betreiber

  • ihre Sortimente erweitern und an die traditionellen Betriebsformen anpassen

  • die Läden besser ausstatten

  • einen besseren Service und Kundendienst anbieten (vgl. Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1002).

Dieses klassische Trading-up ist ein zentraler Punkt Nieschlags These und hat große Ähnlichkeiten mit der Outpacing-Strategie nach Porter. Der einzige Unterschied ist, wenn das Trading-up für den Kostenführer erfolgreich war und eine zusätzliche Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern gelungen ist, dann ist auch die Outpacing-Strategie erfolgreich umgesetzt worden. Wenn das Trading-up aber nur zur Verwässerung der einst klaren Positionierung des Unternehmens geführt hat, dann kann natürlich überhaupt nicht die Rede von einer gelungenen Umsetzung der Outpacing-Strategie sein, sondern im Gegenteil, dem Anbieter droht wieder die Gefahr des „stuck in the middle“, also der Position „zwischen den Stühlen“ (Porter 1989, S. 71).

Ein paar Beispiele sollen dies exemplarisch belegen (vgl. Potucek 1987; Köhler 1990, nach Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1002):

  • Der Markterfolg der Selbstbedienungsläden lag in der preispolitischen Unterbietung der traditionellen Nachbarschaftsgeschäfte. Der klassische „Tante-Emma-Laden“ wurde von dem Supermarkt verdrängt, wobei letzterer wiederum von den Discountern und Verbrauchermärkten bedrängt wird.

  • Auch der Markterfolg der Fachmärkte (hier vor allem der Drogeriemärkte) lag in der Unterbietung der Preise des traditionellen Fachhandels. Im Laufe der Zeit hat sich aber auch in der Betriebsform „Fachmärkte“ der Preiswettbewerb enorm verschärft, sodass sich viele Betriebe zu einem Trading-up gezwungen sahen bzw. sehen. So hat z.B. DM, der Marktführer in der Drogeriemarktbranche, 2006 den ECR-Award gewonnen. Aus Sicht der Jury war dabei

„besonders die strategische Ausrichtung des erfolgreichen Projekts hervorzuheben. Die Preisträger verfolgen eine konsequente Trading-up Strategie mit dem Ziel einer nachhaltigen Umsatz- und Ertragssteigerung und erreichen dabei eine neue Qualität in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie“ (GS1 Pressemappe ECR Award 2006, unter www.papstar.de).

Ein weiteres Musterbeispiel dieser Entwicklung stellt die große Möbelhauskette IKEA dar, die auch nach und nach im Bereich der Ladengestaltung investiert hat (z.B. die hauseigenen Restaurants).

  • Selbst ALDI, kann sich zumindest gewissen Ansätzen eines Trading-up nicht verwehren. Die Verbreiterung des Leistungsangebotes, wie z.B. der Aufnahme von Frischfleisch in das Sortiment sowie die Einführung von Scannerkassen (ALDI Süd 2000 und ALDI Nord 2003; vgl. Brück 2003, nach Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1003) können entweder als erste, wenn auch vorsichtige Ansätze eines Trading-up interpretiert werden, oder als allgemeine Sortiments- und Technologietrends, an denen selbst die Discounter nicht vorbeikommen.

Auch wenn es genügend Gegenbeispiele gibt, die dieser vor allem von Nieschlag prognostizierten Entwicklung nicht entsprechen und die Theorie von Porter nur allgemeine Strategieoptionen der Unternehmen darstellt, muss festgehalten werden, dass die hier vorgetragenen Gedanken zu dem dynamischen Verhalten der Betriebsformen, die sich verändern, sich nachahmen und wieder angleichen, sehr logisch sind und eine anschauliche Erklärungsgrundlage für die Eskalation des Konkurrenzkampfes im Handel darstellen können (vgl. Gröppel-Klein/Germelmann 2004, S. 1004). In Verbindung mit den identitätsorientierten Ansätzen der Markenführung, bei denen die Konsumentenperspektive eine stärkere Berücksichtigung findet (und dies wäre praktisch das einzige Manko dieser beiden Theorien, vgl. ebd.), lassen sich auch im Handel starke Unternehmensmarken etablieren. ALDI sollte uns allen hierbei in vielerlei Hinsicht als ein leuchtendes Beispiel dienen.

-> Hier geht es weiter mit der “Markenführung am Fallbeispiel Staples”

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