So manchem von uns ist es heute gar nicht mehr bewusst, aber vor ein paar Jahrzehnten gab es noch keine riesigen Selbstbedienungsläden mit tausenden von Produkten, sondern eher eine einfache Theke mit einer mehr oder weniger freundlichen Bedienung dahinter, bei der man seine wichtigsten Sachen kaufte und eventuell noch den neuesten Klatsch erfuhr. Von diesen Geschäften gibt es nicht mehr viele, der klassische „Tante-Emma-Laden“ ist vom Aussterben bedroht. Dabei kann man mit Recht behaupten, dass dieser „Tante-Emma-Laden“ die erste Marke im Handel bzw. des Handels war (vgl. Meyer 2000, S. 13).
Natürlich hatten die Konsumenten zu der Zeit nicht sehr viele Einkaufsalternativen, trotzdem hatte ihre „Tante Emma“ eine eigene Persönlichkeit, ein eigenes Image, eine eigene Identität, sie kannte ihre Kunden meist beim Namen und ihr ganzes Verhalten trug zur Profilierung des Geschäfts mit bei. Mit ihr konnte man ein Gesicht und ein spezifisches Aussehen verbinden. Diese Eigenschaften machten derartige Geschäfte einmalig und damit auch zu einer echten Marke (vgl. ebd.).
Allerdings wurden diese Läden im Laufe der Zeit mit der zunehmenden Mobilisierung der Massen und der Einführung der Selbstbedienung vom Markt verdrängt. Der großvolumigen, großflächigen und meist filialisierten Konkurrenz waren sie einfach nicht gewachsen. Immer mehr Markenartikel strömten in die Regale der Handelsunternehmen, die Kommunikation fand nur noch zwischen den Markenherstellern und dem Endkonsumenten (hauptsächlich in Form der Werbung) statt. „Tante Emma“ wurde an die Kasse verbannt und der Handel zu einem Brand-Retailer „degradiert“, einer Art Distributionsstelle für Markenartikel (vgl. ebd., S. 14).
Eine fast schon natürliche Reaktion darauf war die Einführung der Handelsmarken. Angesichts des Profilierungsdefizits vieler Handelsunternehmen schienen sie einen entscheidenden Beitrag zur Positionierung und Differenzierung des eigenen Geschäfts beitragen zu können. Allerdings ist es nun mittlerweile so, dass der Verbraucher die Markenartikel sowieso fast überall bekommt und die Handelsmarken ihre Profilierungsfunktion zunehmend verlieren. Zum einem aus dem Grund, weil die Verbraucher oft nicht zwischen Markenartikel und Handelsmarke unterscheiden, und zum zweiten, weil eben sehr viele Handelsunternehmen dieselbe Strategie verfolgen und zunehmend Handelsmarken in ihr Sortiment aufnehmen. Dadurch bekommt der Kunde viele „gleiche“ Handelsmarken, nur von verschiedenen Handelsunternehmen angeboten (vgl. ebd.).
Somit braucht der Handel andere Instrumente um sich von der Konkurrenz abzuheben. In der Literatur werden viele Möglichkeiten besprochen, hauptsächlich drehen sich diese Fragen um die richtige Gestaltung des Marketingmix. Dazu gehören u. a. die Kunden-, die Standort-, die Sortiments-, die Distributions-, die Preis-, die Personal-, die Service-, die Kommunikations- und nicht zuletzt, die Markenpolitik. Jeder dieser Punkte ist eine kleine Wissenschaft für sich, weswegen sie in dieser Arbeit nur beiläufig behandelt werden können. Die Ausgestaltung des Marketingmix beeinflusst aber in entscheidender Form den Betriebstyp des jeweiligen Unternehmens.5 Als Betriebstyp bezeichnet man
„eine Kategorie von Handelsbetrieben mit gleichen oder ähnlichen Kombinationen von Merkmalen, die über einen längeren Zeitraum beibehalten werden. Durch die Wahl des Betriebstyps legt der Handelsbetrieb seine Struktur, sein Leistungsspektrum und seinen Marktauftritt fest“ (vgl. Ausschuss für Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft, in: Liebmann/Zentes 2001, S. 345).
So sind z.B. Fach- und Spezialgeschäfte oder auch Boutiquen dadurch gekennzeichnet, dass sie jeweils nur ein branchenspezifisches Sortiment anbieten, das sich an bestimmten Bedarfsgruppen orientiert, dabei aber in diesem Bereich eine größere Sortimentstiefe aufweist. Meist mit einer gehobenen Ausrichtung des Geschäfts, hoher Qualität der angebotenen Produkte, sowie hoher Beratungs- und Bedienungsintensität verbunden, zeichnen sich diese Betriebstypen im Allgemeinen durch ein mittleres bis gehobenes Preisniveau aus (vgl. Liebmann/Zentes 2001, S. 373ff.).
Demgegenüber stehen die Discounter, d.h. Einzelhandelsbetriebe die sich vornehmlich über den Preis profilieren. Sie sind auf eine ständige, starre und aggressive Niedrigpreispolitik ausgerichtet. Bei der Sortimentsauswahl wird der Schwerpunkt auf Waren mit einer hohen Umschlagshäufigkeit gelegt, auf jeglichen Kundendienst, Bedienung oder sonstige Dienstleistungen wird hier verzichtet, um Kosten zu sparen und diese Niedrigpreisstrategie möglichst erfolgreich fortsetzen zu können (vgl. ebd., S. 382f.). Dazwischen gibt es noch eine Fülle anderer Betriebstypen, wie z.B. Waren- und Kaufhäuser, Verbraucher- und Supermärkte, oder auch neueren Betriebstypen wie Convenience Shops oder Factory-Outlets (vgl. ebd. S.376ff.; Oehme 2001, S. 323ff.).
Es findet also ein ständiger „Wandel im Handel“ statt, der durch eine hohe Dynamik der verschiedenen Betriebstypen und -formen gekennzeichnet ist. Einzelne Typen verlieren oder gewinnen im Laufe der Zeit an empirischer Bedeutung, zudem entstehen auch neue Typen, die den alten meist in gewisser Weise überlegen sind. In der handelswissenschaftlichen Literatur existieren viele verschiedene Ansätze, die das Aufkommen und Verschwinden der unterschiedlichen Angebotsformen von Handelsunternehmungen zu erklären versuchen.6 Es ist die Suche nach einem allgemeinen, einem „von Raum und Zeit unabhängigen“ (Ahlert/Kenning 2007, S. 130) Gesetz, das die Veränderungen der Angebotsformen erklären und damit als konzeptionelle Grundlage für die Angebotspolitik von Handelsunternehmungen dienen könnte. Im folgenden Kapitel soll Nieschlags These von der „Dynamik der Betriebsformen“ näher vorgestellt werden, ein Ansatz, der in der deutschen Betriebswirtschaftslehre und darüber hinaus auch in der Handelspraxis eine außerordentlich starke Beachtung fand (vgl. Oehme 2001, S. 323; Ahlert/Kenning 2007, S. 130).
-> Hier geht es weiter mit “Nieschlags These von der ‘Dynamik der Betriebsformen’“